Das Trostpäcken
Die Klappe des Hausbriefkastens schlug mit lautem
Schlag zu. „Sicher wieder nur eine Rechnung“, dachte
sie und schlurfte durch den Hausflur, drehte den kleinen
Schlüssel im Briefkastenschloss und war sehr erstaunt,
ein kleines Päckchen in Händen zu halten. „Nanu, wer
schickt mir dieses?“, überlegte sie und dreht die Post
hin und her, bis sie in einer Ecke die Absenderadresse
erblickte. „Ah, meine liebe Studienfreundin – wie gut,
dass sie mich nicht vergessen hat …“
Sie kochte sich eine Tasse Kaffee, dann öffnete sie neugierig
den Briefumschlag. „Sparsam wie immer“, grinste sie, als
sie sah, wie sorgfältig die Freundin einen gebrauchten gro-
ßen Umschlag recycelt hatte. Schon fiel ihr eine leuchtend
orangene Karte entgegen.
„Alles Gute zum Geburtstag“, las sie. „Ich hoffe, mein Ge-
schenk gefällt dir und du findest darin etwas Trost in dieser
schrecklichen Zeit!“ Ja, leicht war es nicht nun mitten in der
Viruszeit. Es gab so viele Einschränkungen des Alltagslebens
und man war wirklich recht viel allein. „Aber heute bin ich
ja froh, weil mir jemand so liebe Post geschickt hat“, lächel-
te sie. „Da brauche ich kein Trostpäckchen! Ich bewahre es
auf, bis ich einmal einen richtig schlechten Tag erwische.
Dann wird es mir neue Kraft geben!“ Vorsichtig legte sie das
in buntes Papier gehüllte Geschenk auf das Bücherregal.
Dann ging sie in die Küche Kartoffeln schälen.
Die Wochen vergingen. Sie ging viel spazieren, freute
sich an den mannigfachen Gaben der Natur, an Früchten,
Nüssen, bunten Blättern. Manchmal vermisste sie ihre
Freunde, doch immer wieder gab es nette Kontakte mit
Nachbarn oder Anrufe. Das Trostpäckchen blieb ungeöff-
net liegen.
Beim Spazierengehen verdrehte sie sich das Knie und muss-
te einige Zeit liegen. Vorsichtig schielte sie nach dem Päck-
chen im Regal und war geneigt, es nun zu öffnen. Doch als
sie sich erheben wollte, durchschoss ein heftiger Schmerz
ihr Knie und so blieb es bei der Idee. „So schlecht geht es mir
ja nicht“, dachte sie. Bücher und Filme lenkten ab.
Ein guter Freund starb. Sie holte traurig ihr Päckchen her-
vor. „Ich mache mir eine Kerze an und dann packe ich es
aus!“, sagte sie sich. Sie riss ein Streichholz an. Warmes
Licht erfüllte den Raum und brachte all die guten Erinne-
rungen zurück. Sie verlor sich getröstet in Gedanken.
Die Pandemie wurde schlimmer, andere Sorgen häuften
sich. Oft sah sie auf ihr Geschenk. „Hauptsache, ich habe
das Päckchen, an dem ich mich freuen kann, wenn es mal
wirklich schlimm kommt“, dachte sie und fühlte sich jedes
Mal so getröstet, dass das Leben ihr heller erschien.
Das Jahr verging. Weihnachten nahte. Die Klappe ihres
Briefkastens schlug. Ein dicker Brief wartete. Er war von
ihrer Studienfreundin. „Liebe Freundin“, stand da. „Es ist
mir so furchtbar peinlich. Eben fiel mir Beiliegendes in die
Hand. Ich wollte im letzten Jahr den kleinen Engel gut ver-
packen, doch irgendwie habe ich nur das Papier erwischt
und dir geschickt und der Engel blieb bei mir. So sei er dir
Weihnachtsgabe! Nun bist du wegen meiner Dummheit si-
cher sauer …“
Die Frau lächelte und zog den winzigen Engel aus dem Um-
schlag. „Nein“, sagte sie, „das Trostpäckchen hat mir über
so Vieles hinweg geholfen. Ich werde es verschlossen lassen
und den kleinen Engel daran kleben, um mich in schweren
Stunden daran zu erinnern, jemand denkt an mich und die
Hoffnung bleibt!“
Maria Sassin
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